Big Five oder Great Eight: Welches Kompetenzmodell passt zu Ihrem Unternehmen?
Dr. Walter Lieberei
Einleitung: Der Dschungel der Kompetenzmodelle
In der modernen Unternehmenswelt sind Kompetenzmodelle zu einem unverzichtbaren Werkzeug für Personalentscheidungen und -entwicklung geworden. Sie dienen als Rahmenwerk, um die Fähigkeiten und Verhaltensweisen zu definieren, die für den Erfolg in bestimmten Rollen oder im gesamten Unternehmen entscheidend sind. Doch bei der Fülle an existierenden Modellen fällt die Wahl oft schwer. Zwei prominente Ansätze, die häufig in der Diskussion auftauchen, sind das Big Five-Modell und das Great Eight-Modell. Aber welches dieser Modelle ist das Richtige für Ihr Unternehmen? Welches liefert die besseren Ergebnisse für Ihre spezifischen Bedürfnisse? Dieser Blog-Artikel liefert Ihnen einen umfassenden Vergleich beider Modelle und hilft Ihnen, die richtige Entscheidung für Ihre Organisation zu treffen.
Big Five-Kompetenzmodelle: Der Allrounder für Persönlichkeitsbewertungen
Das Big Five-Modell, auch bekannt als Fünf-Faktoren-Modell, basiert auf jahrzehntelanger psychologischer Forschung und beschreibt Persönlichkeit anhand von fünf breiten Dimensionen:
- Offenheit für Erfahrungen (Openness): Kreativität, Interesse an Neuem, intellektuelle Neugier
- Gewissenhaftigkeit (Conscientiousness): Organisation, Verantwortungsbewusstsein, Sorgfalt
- Extraversion (Extraversion): Geselligkeit, Durchsetzungsfähigkeit, Energie
- Verträglichkeit (Agreeableness): Kooperationsbereitschaft, Empathie, Freundlichkeit
- Neurotizismus (Neuroticism): Ängstlichkeit, Reizbarkeit, emotionale Labilität
Anwendung in Kompetenzmodellen:
Big Five-basierte Kompetenzmodelle nutzen diese fünf Dimensionen als Grundlage, um allgemeine Persönlichkeitsmerkmale zu bewerten, die für eine Vielzahl von Berufen relevant sind. Studien zeigen, dass insbesondere Gewissenhaftigkeit und emotionale Stabilität (das Gegenteil von Neurotizismus) konsistent mit besserer Arbeitsleistung korrelieren ([Big Five oder Great Eight Bericht]). Andere Big Five-Merkmale wie Extraversion und Offenheit können je nach Kontext und spezifischen Anforderungen der Stelle ebenfalls relevant sein.
Stärken des Big Five-Modells:
- Breite Anwendbarkeit: Das Big Five-Modell ist ein echter Allrounder. Es ist nicht auf bestimmte Branchen oder Berufsfelder beschränkt und eignet sich gut für allgemeine Persönlichkeitsbewertungen ([Big Five oder Great Eight Bericht]).
- Validierte Persönlichkeitsbewertung: Das Modell basiert auf umfangreicher Forschung und ist wissenschaftlich gut validiert. Es bietet ein valides und reliables Framework zur Erfassung von Persönlichkeitsmerkmalen (DeYoung, Quilty, & Peterson, 2007).
- Einfache Kommunikation: Die fünf Dimensionen sind relativ leicht verständlich und kommunizierbar, was die Akzeptanz und Nutzung im Unternehmen erleichtert.
Schwächen des Big Five-Modells:
- Mangelnde Spezifität: Für die detaillierte Beschreibung spezifischer beruflicher Kompetenzen kann das Big Five-Modell zu allgemein sein ([Big Five oder Great Eight Bericht]). Es erfasst zwar breite Persönlichkeitsmerkmale, aber nicht die feinen Nuancen, die für den Erfolg in bestimmten Spezialfunktionen entscheidend sein kö
- Kontextabhängigkeit: Während einige Big Five-Dimensionen wie Gewissenhaftigkeit generell relevant sind, ist die Bedeutung anderer Dimensionen stark kontextabhängig. Die Relevanz von Extraversion oder Offenheit kann je nach Unternehmenskultur und spezifischer Rolle variieren ([Big Five oder Great Eight Bericht]).
- Fokus auf Persönlichkeit, nicht auf Arbeitsleistung: Das Big Five-Modell konzentriert sich primär auf die Beschreibung von Persö Der direkte Bezug zur Arbeitsleistung ist weniger explizit als beim Great Eight-Modell.
Great Eight-Kompetenzmodelle: Der Spezialist für Arbeitsleistung
Das Great Eight-Modell, entwickelt von Prof. Dave Bartram, geht einen anderen Weg. Es fokussiert sich explizit auf Kompetenzen, die direkt mit der Arbeitsleistung in Verbindung stehen (Kurz & Bartram, 2002). Das Modell umfasst acht Kompetenzkategorien, die sich in 20 detailliertere Dimensionen unterteilen lassen:
Great Eight Kompetenzfaktoren:
- Führung und Entscheidung (Leading & Deciding): Übernehmen von Verantwortung, Treffen von Entscheidungen, Führungskompetenz
- Unterstützung und Zusammenarbeit (Supporting & Co-operating): Teamfähigkeit, Kooperationsbereitschaft, Empathie
- Interaktion und Präsentation (Interacting & Presenting): Kommunikationsstärke, Überzeugungskraft, Netzwerkfähigkeit
- Analysieren und Interpretieren (Analysing & Interpreting): Analytisches Denkvermögen, Problemlösungsfähigkeit, Urteilsvermögen
- Schöpferisches und Konzeptuelles Denken (Creating & Conceptualising): Innovation, Kreativität, strategisches Denken
- Organisieren und Ausführen (Organising & Executing): Planung, Organisation, Qualitätsorientierung
- Anpassen und Bewältigen (Adapting & Coping): Anpassungsfähigkeit, Stressresistenz, Flexibilität
- Unternehmerisches und Leistungsbezogenes Handeln (Enterprising & Performing): Ergebnisorientierung, Initiative, kommerzielles Denken
Anwendung in Kompetenzmodellen:
Great Eight-basierte Kompetenzmodelle sind speziell auf die Vorhersage von Arbeitsleistung zugeschnitten (Kurz & Bartram, 2002). Sie bieten einen detaillierten Rahmen für die Bewertung und Entwicklung von Kompetenzen in beruflichen Kontexten. Das Modell wurde umfangreich durch Meta-Analysen validiert und zeigt moderate bis gute Vorhersagekraft für Arbeitsleistung ([Big Five oder Great Eight Bericht]).
Stärken des Great Eight-Modells:
- Spezifischer Fokus auf Arbeitsleistung: Das Modell konzentriert sich auf Kompetenzen, die direkt für den beruflichen Erfolg relevant sind. Es bietet einen klaren Rahmen für die Kompetenzbewertung und -entwicklung im Arbeitskontext (Kurz & Bartram, 2002).
- Detaillierte Kompetenzbeschreibung: Die Unterteilung in acht Faktoren und 20 Dimensionen ermöglicht eine detailliertere und nuanciertere Analyse der benötigten Kompetenzen.
- Empirisch fundiert und validiert: Das Great Eight-Modell basiert auf umfangreichen empirischen Daten und Meta-Analysen, die seine Validität und Vorhersagekraft für Arbeitsleistung belegen (Kurz & Bartram, 2002; [Big Five oder Great Eight Bericht]).
- Strukturierter Rahmen für HR-Prozesse: Das Modell bietet eine strukturierte Rahmenbedingung für verschiedene HR-Prozesse wie Kompetenzbewertung, -entwicklung und Nachfolgeplanung ([Big Five oder Great Eight Bericht]).
Schwächen des Great Eight-Modells:
- Weniger allgemeine Anwendbarkeit: Das Great Eight-Modell ist stark auf berufliche Kontexte ausgerichtet und möglicherweise weniger flexibel für nicht berufliche Bereiche ([Big Five oder Great Eight Bericht]).
- Fokus auf Arbeitsleistung kann andere Aspekte vernachlässigen: Der starke Fokus auf Arbeitsleistung könnte dazu führen, dass andere wichtige Aspekte der Persönlichkeit oder übergeordnete, organisationale Werte weniger berücksichtigt werden.
- Komplexität: Die detaillierte Struktur mit acht Faktoren und 20 Dimensionen kann die Anwendung und Kommunikation des Modells im Unternehmen komplexer gestalten.
Indirekter Vergleich: Was können wir aus der Literatur ableiten?
Obwohl direkte Vergleichsstudien zwischen Big Five- und Great Eight-Kompetenzmodellen rar sind, lassen sich aus den vorliegenden Artikeln indirekte Vergleiche ziehen:
- Überschneidungen: Beide Modelle betonen die Bedeutung von Gewissenhaftigkeit für den beruflichen Erfolg ([Big Five oder Great Eight Bericht]). Dies deutet auf eine gewisse Komplementarität hin – beide Modelle erfassen wichtige, aber möglicherweise unterschiedliche Aspekte von Kompetenz.
- Fokus: Das Big Five-Modell ist allgemeiner und stärker in der Persönlichkeitspsychologie verwurzelt. Es bietet einen breiten Überblick über Persönlichkeitsmerkmale, die allgemein für Verhalten und möglicherweise auch für Arbeitsleistung relevant sind. Das Great Eight-Modell hingegen ist speziell auf die Arbeitsleistung zugeschnitten und bietet einen detaillierteren und stärker handlungsorientierten Rahmen für die Kompetenzbewertung im beruflichen Kontext.
- Spezifität vs. Generalisierbarkeit: Das Great Eight-Modell ist aufgrund seiner detaillierten Struktur spezifischer und besser geeignet, um berufliche Anforderungen präzise zu erfassen. Das Big Five-Modell hingegen bietet eine höhere Generalisierbarkeit und ist in breiteren Kontexten anwendbar, insbesondere für allgemeine Persönlichkeitsbewertungen und die Rekrutierung von Mitarbeitern für verschiedene Rollen ([Big Five oder Great Eight Bericht]).
Tabelle: Vergleich der Ansätze

Diskussion: Welches Modell für welchen Zweck?
Die Wahl zwischen Big Five- und Great Eight-Kompetenzmodellen hängt stark vom Kontext und dem Zweck ab, für den das Modell eingesetzt werden soll.
- Allgemeine Persönlichkeitsbewertung und breite Rekrutierung: Für allgemeine Persönlichkeitsbewertungen, die breite Abdeckung relevanter Merkmale und eine einfache Anwendbarkeit im Fokus haben, ist das Big Five-Modell oft eine gute Wahl. Es eignet sich gut für die Rekrutierung von Mitarbeitern für verschiedene Rollen und bietet eine solide Grundlage für allgemeine Einschätzungen der Persönlichkeit.
- Spezifische berufliche Anforderungen und detaillierte Kompetenzentwicklung: Wenn es darum geht, spezifische berufliche Anforderungen präzise zu erfassen und detaillierte Kompetenzentwicklungsmaßnahmen abzuleiten, ist das Great Eight-Modell oft die bessere Wahl. Seine detaillierte Struktur und der Fokus auf Arbeitsleistung machen es zu einem wertvollen Werkzeug für die gezielte Entwicklung und Förderung von Mitarbeitern in spezifischen Rollen.
- Integration beider Ansätze? Die Literatur deutet darauf hin, dass eine Kombination beider Ansätze in manchen Fällen sinnvoll sein kann ([Big Five oder Great Eight Bericht]). Unternehmen könnten beispielsweise ein hybrides Modell entwickeln, das die allgemeine Anwendbarkeit des Big Five-Modells mit der Spezifität und Detailtiefe des Great Eight-Modells. Eine solche Integration könnte die Vorteile beider Welten vereinen und ein umfassenderes und flexibleres Kompetenzmodell ermöglichen.
Schlussfolgerung: Ein anlassbezogenes Zweckbündnis statt „Entweder-Oder“
Die Frage „Big Five oder Great Eight?“ lässt sich nicht pauschal beantworten. Beide Modelle haben ihre Stärken und Schwächen und sind für unterschiedliche Zwecke und Kontexte geeignet. Statt eines „Entweder-Oder“ empfiehlt sich ein anlassbezogenes Zweckbündnis: Die situationsgerechte Auswahl des Modells, das am besten zu den spezifischen Bedürfnissen und Zielen des Unternehmens passt, ist entscheidend.
Für eine breite, allgemeine Persönlichkeitsbewertung und weniger detaillierte Analysen kann das Big Five-Modell ausreichend sein. Für spezifische berufliche Kontexte, die eine detaillierte und handlungsorientierte Kompetenzbeschreibung erfordern, ist das Great Eight-Modell oft die bessere Wahl. In manchen Fällen kann auch eine Integration beider Ansätze sinnvoll sein, um die Vorteile beider Modelle zu kombinieren.
Letztendlich liegt es an Personalexperten und Führungskräften, die richtige Balance zwischen Generalisierbarkeit und Spezifität, Breite und Detailtiefe zu finden und das Kompetenzmodell auszuwählen, das den individuellen Anforderungen und strategischen Zielen ihres Unternehmens am besten gerecht wird. Die vorliegende Analyse soll Ihnen dabei helfen, eine fundierte Entscheidung zu treffen und den Dschungel der Kompetenzmodelle zu durchdringen.
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