Kompetenzniveaumodell: Expertise oder Hierarchie? Der ultimative Leitfaden für zukunftsfähige Personalarbeit
„Wir geben Unsummen für Assessment-Tools aus, aber am Ende entscheiden wir doch wieder nach Bauchgefühl.“
Dieses Zitat eines frustrierten HR-Managers aus der Automobilindustrie bringt ein Dilemma auf den Punkt, das viele Personalentscheider kennen. Trotz aufwendiger Diagnostik bleibt die Besetzung und Entwicklung von Schlüsselpositionen oft eine Blackbox. Die Folge sind teure Fehlbesetzungen, ungenutztes Mitarbeiterpotenzial und eine Personalentwicklung, die eher zufällig als strategisch erfolgt.
In einer immer komplexeren Arbeitswelt ist dieser Ansatz nicht nur unprofessionell, sondern ein echtes Geschäftsrisiko. Die Lösung liegt in einem systematischen, transparenten und fairen Ansatz: einem durchdachten Unternehmenskompetenzmodell. Das Herzstück eines solchen Modells ist ein klar definiertes Kompetenzniveaumodell, das beschreibt, wie gut eine Person eine bestimmte Fähigkeit beherrscht.
Doch wie definiert man diese Niveaus? Sollte sich die Abstufung an der individuellen Expertise eines Mitarbeiters orientieren – vom Novizen zum Meister? Oder sollte sie sich an den Anforderungen der jeweiligen Hierarchiestufe ausrichten – von der Sachbearbeitung bis zur Unternehmensleitung?
Dieser Artikel ist Ihr umfassender Leitfaden zur Gestaltung von Kompetenzniveaumodellen. Wir werden:
- Die grundlegenden Begriffe „Kompetenzstruktur“ und „Kompetenzniveau“ klar voneinander abgrenzen.
- Die beiden zentralen Ansätze – expertiseorientiert und hierarchieorientiert – detailliert vorstellen.
- Wissenschaftlich fundierte Modelle wie das Dreyfus-Modell und das Leadership-Pipeline-Modell beleuchten.
- Anhand konkreter Beispiele zeigen, wie Sie diese Ansätze in der Praxis anwenden können.
- Eine klare Empfehlung geben, welcher Ansatz für welche Unternehmensziele am besten geeignet ist.
Machen Sie sich bereit, die „Blackbox“ der Personalentscheidungen zu erhellen und eine strategische Grundlage für den Erfolg Ihres Unternehmens zu schaffen.
1. Das Fundament: Kompetenzstruktur vs. Kompetenzniveau – Was ist was?
Bevor wir in die Tiefe gehen, müssen wir zwei fundamentale Begriffe schärfen, die oft verwechselt werden, aber die zwei Dimensionen eines jeden guten Kompetenzmodells beschreiben.
Kompetenzstrukturmodell: Die Landkarte der Fähigkeiten („Was“)
Das Kompetenzstrukturmodell ist der inhaltliche Katalog aller für den Unternehmenserfolg relevanten Kompetenzen. Es beantwortet die Frage: „Über welche Kompetenzen müssen unsere Mitarbeiter verfügen?“ Es definiert und gruppiert die leistungskritischen Fähigkeiten, Fertigkeiten, Kenntnisse und Verhaltensweisen.
Eine in der Praxis und Wissenschaft bewährte Struktur ist das „Great Eight“-Modell von Professor Dave Bartram (2005). Es ist ein kriterienzentriertes Modell, das heißt, es fokussiert auf beobachtbares Verhalten, das direkt mit beruflicher Leistung verknüpft ist. Es beschreibt nicht die Persönlichkeit, sondern das, was eine Person tut. Die acht übergeordneten Kompetenzfaktoren sind:
- Führen und Entscheiden
- Unterstützen und Kooperieren
- Interagieren und Präsentieren
- Analysieren und Interpretieren
- Gestalten und Konzipieren
- Organisieren und Ausführen
- Anpassen und Bewältigen
- Unternehmerisch Denken und leistungsorientiert Handeln
Dieses Modell kann in den überfachlichen Kompetenzbereichen die horizontale Dimension oder die Spalten einer Kompetenzmatrix bilden.
Kompetenzniveaumodell: Die Messlatte für die Beherrschung („Wie gut“)
Das Kompetenzniveaumodell ergänzt die Struktur um eine vertikale Dimension. Es definiert für jede einzelne Kompetenz unterschiedliche Ausprägungsgrade oder Stufen. Es beantwortet die Frage: „Wie gut beherrscht eine Person eine bestimmte Kompetenz?“
Diese Stufen machen sichtbar, wie weit entwickelt die dazugehörigen Fähigkeit, Fertigkeiten oder Kenntnisse sind – vom grundlegenden Verständnis bis hin zur strategischen Meisterschaft. Sie sind das zentrale Instrument für eine differenzierte Personalarbeit, von der Einstellung über die Leistungsbeurteilung bis zur gezielten Karriereentwicklung.
Metapher: Das Kompetenzstrukturmodell (Das „Was“) spiegelt die Besetzung eines Orchesters wider. Es listet auf, welche Instrumente (Kompetenzen) benötigt werden, um eine Symphonie aufzuführen: die Streicher, die Holzbläser, das Blech, das Schlagwerk. Ohne die richtige Besetzung kann das Stück nicht gespielt werden. Das Kompetenzniveaumodell (Das „Wie gut“) spiegelt die Virtuosität der Musiker wider. Es beschreibt das Können auf jedem Instrument. Stufe 1 ist der Musikschüler, der die richtigen Noten trifft. Stufe 5 ist der weltklasse Solist, der mit technischer Brillanz, Ausdruck und Gefühl das Publikum begeistert. Es ist der Unterschied zwischen einer Schulkapelle und den Berliner Philharmonikern.
2. Zwei Wege, ein Ziel: Expertise- vs. Hierarchieorientierung
Bei der Gestaltung eines Kompetenzniveaumodells gibt es zwei grundlegende Denkweisen, die den Fokus der Betrachtung bestimmen.
a) Expertiseorientierter Ansatz: Die Reise des Individuums
Dieser Ansatz beschreibt die Stufen der Beherrschung einer Kompetenz aus der Perspektive des lernenden Individuums. Er zeichnet den qualitativen Entwicklungsprozess vom Anfänger zum Experten nach, unabhängig von der formalen Position in der Organisation.
- Kernfrage: Wie verändert sich das Denken und Handeln einer Person, während sie in einer bestimmten Fähigkeit Meisterschaft erlangt?
- Fokus: Tiefe des Verständnisses und der Anwendungsreife.
- Logik: Die Stufen beschreiben eine natürliche Lernprogression (z. B. von bewusst-regelbasiert zu intuitiv-automatisiert).
b) Hierarchieorientierter Ansatz: Die Bedürfnisse der Organisation
Dieser Ansatz leitet die Anforderungen an eine Kompetenz direkt von der Position einer Person in der Organisationshierarchie ab. Er geht davon aus, dass unterschiedliche Hierarchieebenen unterschiedliche Ausprägungen derselben Kompetenz oder sogar gänzlich andere Kompetenzen erfordern.
- Kernfrage: Was muss eine Person auf einer bestimmten Hierarchieebene leisten können?
- Fokus: Umfang der Verantwortung und Komplexität der Rolle.
- Logik: Die Stufen sind qualitativ und quantitativ an die Anforderungen der jeweiligen Hiearchieebene gekoppelt.
Beide Ansätze haben ihre Berechtigung und werden in den folgenden Kapiteln detailliert mit Modellen und Praxisbeispielen vorgestellt.
3. Der Expertise-Ansatz: Vom Novizen zum Meister
Der expertiseorientierte Ansatz basiert auf der Beobachtung, wie Menschen Fähigkeiten erlernen und meistern. Es gibt mehrere einflussreiche Modelle, die diesen Prozess beschreiben.
European e-Competence Framework (e-CF): Als europäisches Pendant zu SFIA definiert das e-CF 40 ICT-Kompetenzen und ordnet ihnen fünf Kompetenzniveaus (e-1 bis e-5) zu, die direkt den EQR-Leveln 3 bis 8 entsprechen. Es schlägt eine Brücke zwischen unternehmerischen Anforderungen und dem formalen Bildungssystem.
Das Dreyfus-Modell der Kompetenzerwerbs: Entwickelt von den Brüdern Stuart und Hubert Dreyfus, beschreibt dieses Fünf-Stufen-Modell den Weg vom Anfänger zum Experten als eine qualitative Veränderung. Der Lernende bewegt sich von einer analytischen, kontextfreien Regelbefolgung hin zu einem intuitiven, ganzheitlichen Verständnis von Situationen. Es ist eines der anerkanntesten Frameworks zur Beschreibung des Kompetenzerwerbs bei Erwachsenen.
Die Taxonomie von Bloom / Anderson / Krathwohl: Ursprünglich von Benjamin Bloom entwickelt und später von Anderson und Krathwohl revidiert, klassifiziert dieses Modell Lernziele nach ihrer kognitiven Komplexität. Die sechs Stufen (Erinnern, Verstehen, Anwenden, Analysieren, Bewerten, Erschaffen) bilden eine Hierarchie von Denkprozessen. Es ist ein fundamentales Werkzeug in der Pädagogik, um den kognitiven Anspruch von Aufgaben zu definieren.
Skills Framework for the Information Age (SFIA): Ein internationaler De-facto-Standard speziell für die IT- und Digitalbranche. SFIA definiert eine siebenstufige Skala von Verantwortungsebenen (Levels of Responsibility), von „Befolgen“ (Level 1) bis „Strategie festlegen“ (Level 7). Entscheidend ist, dass SFIA diese Stufen mit einem umfassenden Katalog von IT-spezifischen Fähigkeiten kombiniert und für jede Fähigkeit eine Beschreibung pro Level liefert.
Europäischer Qualifikationsrahmen (EQR/EQF): Der EQR ist ein Übersetzungsinstrument, das Qualifikationen in Europa vergleichbar machen soll. Er umfasst acht Niveaus, die durch Lernergebnisse in den Dimensionen „Wissen“, „Fertigkeiten“ und „Selbstständigkeit/Verantwortung“ beschrieben werden. Für Unternehmen ist er vor allem im Kontext der Berufsbildung und der Einstufung von Bewerberqualifikationen relevant.
4. Die Gretchenfrage der Praxis: Wie viele Stufen benötigt ein Modell?
Die Wahl der richtigen Anzahl von Kompetenzstufen ist ein entscheidender Balanceakt zwischen Differenzierung und Handhabbarkeit.
- Modelle mit 3 Stufen (z. B. Einsteiger, Fortgeschrittener, Experte):
- Vorteil: Einfach, schnell zu implementieren und leicht verständlich. Gut geeignet für kleinere Unternehmen (KMU) zur Identifikation von Qualifikationslücken.
- Nachteil: Geringe Differenzierung. Lernfortschritte im wichtigen mittleren Bereich werden kaum sichtbar, was demotivierend wirken kann.
- Modelle mit 5 Stufen (analog zum Dreyfus-Modell):
- Vorteil: Dies gilt als Goldstandard für die Praxis. Es bietet eine ausreichende Differenzierung, um Entwicklungsfortschritte sichtbar zu machen, bleibt aber dennoch überschaubar. Es bildet den kritischen Übergang vom kompetenten zum gewandten Mitarbeiter gut ab.
- Nachteil: Erfordert eine etwas genauere Definition der Verhaltensanker.
- Modelle mit 6-9 Stufen:
- Vorteil: Sehr hohe Granularität. Nützlich in großen Konzernen oder hoch spezialisierten Berufsfeldern, um gezielt Branchenexperten zu entwickeln und feine Leistungsunterschiede (z. B. zwischen einem Experten und einem international anerkannten Koryphäe) abzubilden.
- Nachteil: Hoher administrativer Aufwand bei der Erstellung und Pflege. Die Unterscheidung zwischen den Stufen wird oft schwierig und erfordert intensive Schulungen für Führungskräfte.
Faustregel: Für die meisten Unternehmen ist eine Skala mit fünf Stufen die ideale Wahl. Sie bietet die beste Balance zwischen aussagekräftiger Differenzierung und praktischer Anwendbarkeit.
5. Ein praxiserprobtes Modell: Fünf Stufen der Expertise (nach Dreyfus)
Basierend auf dem Dreyfus-Modell lässt sich ein idealtypisches, expertiseorientiertes 5-Stufen-Modell für die betriebliche Praxis definieren:
- Stufe 1: Novize (Grundlagen)
- Beschreibung: Handelt strikt nach vorgegebenen, kontextfreien Regeln und Anleitungen. Benötigt präzise Anweisungen und engmaschige Kontrolle. Jede Situation ist neu; erkennt eigene Fehler oft nicht selbstständig.
- Mitarbeiterprofil: Neueinsteiger, Auszubildende, Umschüler.
- Stufe 2: Fortgeschrittener Anfänger (Aufbau)
- Beschreibung: Beginnt durch erste praktische Erfahrungen, wiederkehrende situative Muster zu erkennen. Löst sich langsam von starren Regeln und wendet Faustregeln an. Benötigt bei Abweichungen vom Standardfall weiterhin Unterstützung.
- Mitarbeiterprofil: Mitarbeiter nach der Einarbeitungsphase (ca. 6-12 Monate).
- Stufe 3: Kompetent (Sicherheit)
- Beschreibung: Kann komplexe Situationen überblicken und eigenständig einen Handlungsplan erstellen. Setzt Prioritäten und trifft bewusste Entscheidungen. Das Handeln ist bewusst und planvoll, kann aber noch zu „Analyse-Paralyse“ führen. Fühlt sich erstmals emotional für die Ergebnisse verantwortlich.
- Mitarbeiterprofil: Solider, verlässlicher Mitarbeiter, der die meisten Standardaufgaben selbstständig bewältigt.
- Stufe 4: Gewandt (Gewandtheit)
- Beschreibung: Erfasst Situationen ganzheitlich und intuitiv; erkennt das Kernproblem sofort, ohne analytisch verschiedene Optionen abwägen zu müssen. Handelt flüssig und vorausschauend. Kann bei Bedarf aber immer noch analytisch über alternative Vorgehensweisen nachdenken.
- Mitarbeiterprofil: Leistungsträger, Fachexperte, Mentor.
- Stufe 5: Experte (Meisterschaft)
- Beschreibung: Handelt rein intuitiv, schnell und mühelos; das Handeln wirkt „automatisch“. Löst Probleme, ohne sie bewusst als solche zu analysieren und kann oft nicht genau erklären, warum eine Entscheidung die richtige war („erfahrungsbasiertes Bauchgefühl“). Entwickelt oft unkonventionelle Lösungen.
- Mitarbeiterprofil: Vordenker, strategischer Berater, Innovator.
Der Expertise-Ansatz in Aktion: Ein Anwendungsbeispiel
Stufe | Überfachliche Kompetenz: Analysieren & Interpretieren | Fachliche Kompetenz: Finanzanalyse & Reporting |
1. Novize | Folgt einer klaren Checkliste, um einfache Daten (z. B. aus einer einzelnen Quelle) zu sammeln und in eine vorgegebene Vorlage einzutragen. Benötigt Anleitung, um die Bedeutung der Daten zu verstehen. | Kann Standard-Buchungsbelege nach klarer Anweisung kontieren und im System erfassen. Gleicht einfache Konten anhand einer Checkliste ab. |
2. Fortgeschrittener Anfänger | Erkennt auf Basis ähnlicher früherer Aufgaben einfache Muster in den Daten. Kann Standard-Reports erstellen und einfache Abweichungen identifizieren. Fragt bei unklaren Zusammenhängen gezielt nach. | Erstellt eigenständig einfache Monatsreports auf Basis vorhandener Vorlagen. Erkennt offensichtliche Abweichungen in den Zahlen (z. B. stark gestiegene Kosten) und meldet diese. |
3. Kompetent | Kann Daten aus mehreren Quellen eigenständig zu einem Gesamtbild zusammenfügen. Analysiert komplexe Sachverhalte, identifiziert Ursache-Wirkungs-Beziehungen und entwickelt erste Lösungsoptionen. | Führt eigenständig Monats- und Quartalsabschlüsse durch. Analysiert die Gewinn- und Verlustrechnung sowie die Bilanz, identifiziert die wesentlichen Treiber für Abweichungen und kommentiert diese verständlich. |
4. Gewandt | Erfasst intuitiv das Kernproblem in komplexen, mehrdeutigen Datensätzen. Erkennt schnell, welche Informationen fehlen. Entwickelt und bewertet mehrere komplexe Szenarien und gibt klare Handlungsempfehlungen. | Versteht die Geschäftsentwicklung hinter den Zahlen und erkennt frühzeitig Risiken und Chancen. Erstellt Ad-hoc-Analysen für komplexe strategische Fragestellungen und agiert als Business Partner für das Management. |
5. Experte | Denkt systemisch und vernetzt. Antizipiert zukünftige Trends und deren Auswirkungen auf Basis schwacher Signale in den Daten. Entwickelt völlig neue analytische Modelle, um strategische Weichenstellungen vorzunehmen. | Entwickelt und implementiert neue, unternehmensweite Reporting-Strukturen und -Systeme. Kann die finanzielle Auswirkung externer Marktschocks (z. B. Zinsänderungen) auf das Geschäftsmodell präzise modellieren und berät den Vorstand auf strategischer Ebene. |
Der Hierarchie-Ansatz: Kompetenz als Funktion der Position
Im Gegensatz zum expertiseorientierten Ansatz fokussiert das hierarchieorientierte Modell auf die sich ändernden Anforderungen entlang der Karriereleiter. Ein bewährtes Konzept hierfür ist das Leadership-Pipeline-Modell von Charan, Drotter und Noel (2001). Es beschreibt, dass jeder Übergang auf eine neue Führungsebene einen signifikanten Wandel in den benötigten Fähigkeiten, im Zeitmanagement und in den Arbeitswerten erfordert.
Auch das SHL Corporate Leadership Model von Bartram und Inceoglu (2011) ist explizit auf unterschiedliche Organisationsebenen ausgerichtet und beschreibt die spezifischen Kompetenzanforderungen für jede Stufe.
Ein typisches hierarchieorientiertes Kompetenzniveaumodell umfasst sechs Stufen, die den klassischen Karriereweg in vielen Unternehmen abbilden:
- Ebene Junior Mitarbeiter: Fokus auf die zuverlässige Ausführung zugewiesener Aufgaben und das Lernen der Grundlagen.
- Ebene Senior Mitarbeiter / Fachexperte: Fokus auf die eigenständige, exzellente Bearbeitung komplexer Fachaufgaben und die Übernahme von Verantwortung für Teilbereiche oder Projekte.
- Ebene Teamleitung (Führung von Mitarbeitern): Kritischer Übergang von der eigenen Leistung zur Erzielung von Ergebnissen durch andere. Fokus auf Mitarbeiterführung, Delegation und operative Planung.
- Ebene Abteilungsleitung (Führung von Führungskräften): Fokus auf die Auswahl und Entwicklung von Teamleitern, Ressourcenallokation zwischen Teams und die Umsetzung der Funktionsstrategie.
- Ebene Bereichsleitung (Führung einer Funktion): Fokus auf die Entwicklung einer langfristigen Funktionsstrategie, funktionsübergreifende Zusammenarbeit und das Management komplexer, unsicherer Entscheidungen.
- Ebene Unternehmensleitung (Führung des Gesamtunternehmens): Fokus auf die Entwicklung der Gesamtstrategie, Stakeholder-Management, Gestaltung der Unternehmenskultur und das Denken in globalen und langfristigen Dimensionen (10-50 Jahre).
8. Der Hierarchie-Ansatz in Aktion: Ein Anwendungsbeispiel
Die folgende Tabelle wendet diesen 6-stufigen Ansatz auf dieselben Beispielkompetenzen an. Beachten Sie, wie sich die Beschreibung des Verhaltens nicht primär durch die Tiefe der Expertise ändert, sondern durch den Umfang der Verantwortung und die Komplexität des Kontextes.
Hierarchiestufe | Überfachliche Kompetenz: Analysieren & Interpretieren | Fachliche Kompetenz: Finanzanalyse & Reporting |
1. Junior-Mitarbeiter | Analysiert und bewertet operative Informationen bezogen auf den eigenen Arbeitsplatz in einem einfachen Umfeld (Zeithorizont: bis 3 Monate). | Erstellt Standard-Reports für den eigenen Aufgabenbereich nach klarer Vorgabe. |
2. Senior-Mitarbeiter | Analysiert und bewertet operative Informationen bezogen auf die Teamfunktion in einem einfachen Umfeld (Zeithorizont: bis 6 Monate). | Führt eigenständig das Reporting für einen zugewiesenen Fachbereich durch und analysiert Abweichungen auf Basis etablierter Kennzahlen. |
3. Teamleitung | Analysiert und bewertet taktische Informationen bezogen auf Teamstrukturen und -prozesse in einem komplizierten Umfeld (Zeithorizont: bis 1 Jahr). | Stellt das Reporting für das gesamte Team sicher, konsolidiert die Ergebnisse und analysiert die Team-Performance im Hinblick auf die operativen Ziele. |
4. Abteilungsleitung | Analysiert und bewertet taktische Informationen bezogen auf Abteilungsstrukturen und -prozesse in einem komplexen Umfeld (Zeithorizont: 1-3 Jahre). | Verantwortet das gesamte Reporting der Abteilung, analysiert die finanzielle Performance im Kontext der Abteilungsstrategie und leitet Handlungsempfehlungen für die Teamleiter ab. |
5. Bereichsleitung | Analysiert und bewertet strategische Informationen bezogen auf Bereichsstrukturen und -prozesse in einem chaotischen/komplexen Umfeld (Zeithorizont: 1-3 Jahre). | Verantwortet die Finanzanalyse und das Reporting des gesamten Funktionsbereichs. Analysiert die finanzielle Tragfähigkeit der Bereichsstrategie und bewertet finanzielle Risiken und Chancen für den Bereich. |
6. Unternehmens | Analysiert und bewertet strategische Informationen bezogen auf Unternehmensstrukturen und -prozesse in einem chaotischen Umfeld (Zeithorizont: > 3 Jahre). | Analysiert die finanzielle Gesamtperformance des Unternehmens im Kontext von Markttrends, Wettbewerb und der Unternehmensstrategie. Bewertet die finanziellen Auswirkungen strategischer Entscheidungen (z. B. M&A) für das gesamte Unternehmen. |
9. Expertise vs. Hierarchie: Welcher Ansatz ist der richtige für Sie?
Beide Ansätze haben ihre Stärken und Schwächen. Die Wahl hängt von den Zielen ab, die Sie mit Ihrem Kompetenzmodell verfolgen.
Ansatz | Vorteile (Pros) | Nachteile (Cons) |
A expertise-orientiert | Fördert Fachkarrieren: Macht die Entwicklung von Fachexperten (ohne Personalverantwortung) sichtbar und wertschätzend. Individuelle Entwicklung: Fokussiert auf den tatsächlichen Lernfortschritt des Individuums. Objektive Standortbestimmung: Ermöglicht eine faire Einschätzung der tatsächlichen Fähigkeit einer Person. Flexibel: Funktioniert auch in flachen Hierarchien oder agilen Organisationen. | Entkopplung von der Rolle: Eine hohe Expertise in einer Kompetenz bedeutet nicht automatisch, dass diese für die aktuelle oder nächste Rolle relevant ist. Komplexere Steuerung: Erfordert eine zusätzliche Verknüpfung mit den Stellenanforderungen. |
B hierarchie-orientiert | Klare Verknüpfung mit Rollen: Definiert eindeutig die Erwartungen an eine bestimmte Position. Unterstützt Nachfolgeplanung: Macht die Kompetenzlücken für den nächsten Karriereschritt klar sichtbar. Einfache Kommunikation: Die Anforderungen sind direkt an bekannte Positionsbezeichnungen gekoppelt. Strategische Ausrichtung: Die Kompetenzen auf Top-Level sind direkt aus der Unternehmensstrategie ableitbar. | Vernachlässigt Fachexpertise: Kann dazu führen, dass tiefe Fachexpertise weniger wertgeschätzt wird als eine Führungsposition. Risiko von Beförderung aufgrund von Fachleistung: Fördert die Beförderung der besten Fachkraft zur Führungskraft, obwohl dafür andere Kompetenzen nötig sind (Peter-Prinzip). Starr bei Matrix- oder agilen Organisationen: Weniger geeignet für moderne Organisationsformen. |
Die beste Lösung: Die hybride Integration
Für die meisten Unternehmen liegt der Schlüssel zum Erfolg in der intelligenten Kombination beider Ansätze. Ein umfassendes Kompetenzmodell enthält sowohl hierarchie- als auch expertiseorientierte Elemente:
- Struktur schaffen: Definieren Sie einen unternehmensweiten Katalog an relevanten Kompetenzen (z. B. basierend auf den „Great Eight“ plus spezifische Fachkompetenzen).
- Expertise abbilden: Definieren Sie für jede dieser Kompetenzen eine 5-stufige Expertise-Skala (niveauorientiert), um die individuelle Entwicklung messbar zu machen.
- Anforderungen definieren: Definieren Sie für jede Hierarchiestufe oder jede spezifische Rolle, welches Mindestniveau auf den relevanten Kompetenzskalen erwartet wird.
Beispiel: Ein Teamleiter (Hierarchiestufe) benötigt in der Kompetenz „Mitarbeiterführung“ vielleicht mindestens Niveau 4 (gewandt), während in „Finanzanalyse“ Niveau 2 (fortgeschrittener Anfänger) ausreicht. Ein Senior-Controller auf derselben Hierarchiestufe benötigt hingegen in „Finanzanalyse“ Niveau 4, aber in „Mitarbeiterführung“ vielleicht nur Niveau 1.
10. Fazit: Vom strategischen Werkzeug zur gelebten Transformation
Ein differenziertes Kompetenzniveaumodell ist weit mehr als ein bürokratisches HR-Instrument. Es ist ein strategisches Werkzeug zur Unternehmenstransformation. Es schafft eine gemeinsame Sprache und eine transparente, faire Grundlage für alle Personalentscheidungen.
Indem Sie die Stärken des expertiseorientierten und des hierarchieorientierten Ansatzes kombinieren, schaffen Sie ein System, das:
- Klarheit über die Erwartungen für jede Rolle schafft.
- transparente Karrierewege für Führungs- und Fachlaufbahnen aufzeigt.
- Gezielte und effektive Personalentwicklung ermöglicht.
- Fehlbesetzungen reduziert und die richtigen Talente an den richtigen Stellen sichergestellt.
Der Weg von einem vagen „Bauchgefühl“ zu einem klaren, datengestützten Kompetenzmanagement ist eine Investition. Aber es ist eine Investition, die sich in Form von besseren Mitarbeitern, geringerer Fluktuation und letztlich einem nachhaltigeren Unternehmenserfolg mehr als auszahlt. Es ist der entscheidende Schritt, um die „Blackbox“ der Personalarbeit endgültig zu erhellen und die wichtigste Ressource Ihres Unternehmens – Ihre Mitarbeiter – systematisch zum Erfolg zu führen.
Literaturverzeichnis
Anderson, L. W., & Krathwohl, D. R. (Eds.). (2001). A taxonomy for learning, teaching, and assessing: A revision of Bloom’s Taxonomy of educational objectives. Longman.
Bartram, D. (2005). The Great Eight competencies: A criterion-centric approach to validation. Journal of Applied Psychology, 90(6), 1185–1203. https://doi.org/10.1037/0021-9010.90.6.1185
Bartram, D., & Inceoglu, I. (2011). The SHL Corporate Leadership Model (White Paper Version 2.0). SHL Group.
Bloom, B. S., Engelhart, M. D., Furst, E. J., Hill, W. H., & Krathwohl, D. R. (1956). Taxonomy of educational objectives: The classification of educational goals. Handbook I: Cognitive domain. David McKay Company.
Charan, R., Drotter, S., & Noel, J. (2001). The leadership pipeline: How to build the leadership-powered company. Jossey-Bass.
Dreyfus, S. E. (2004). The five-stage model of adult skill acquisition. Bulletin of Science, Technology & Society, 24(3), 177–181. https://doi.org/10.1177/0270467604264992
Fischer, K. W. (1980). A theory of cognitive development: The control and construction of hierarchies of skills. Psychological Review, 87(6), 477–531. https://doi.org/10.1037/0033-295X.87.6.477
Judge, T. A., Colbert, A. E., & Ilies, R. (2004). Intelligence and leadership: A quantitative review and test of theoretical propositions. Journal of Applied Psychology, 89(4), 542–552.
Kanning, U. P. (2017). Warum Manager intelligent sein sollten. Personalmagazin, 9/2017, 28-32.
Kauffeld, S., & Paulsen, H. (2018). Kompetenzmanagement in Unternehmen. Kompetenzen beschreiben, messen, entwickeln und nutzen. Kohlhammer.
Krathwohl, D. R. (2002). A revision of Bloom’s taxonomy: An overview. Theory into Practice, 41(4), 212–218. https://doi.org/10.1207/s15430421tip4104_2
Kraut, A. I., Pedigo, P. R., McKenna, D. D., & Dunnett, M. D. (2005). The role of the manager: What’s really important in different management jobs. Academy of Management Executive, 19(4), 122-129.
Mehltretter, G., & Moyer, J. (2000). Complexity of Information Processing Development Tool: Report for interpretation of Individual Data. PeopleFit Division Mehltretter Associates.
Ones, D. S., & Dilchert, S. (2009). How Special Are Executives? How Special Should Executive Selection Be? Observations and Recommendations. Industrial and Organizational Psychology, 2(2), 163–170.
Spencer, L. M., & Spencer, S. M. (1993). Competence at work: Models for superior performance. John Wiley & Sons.
Stacey, R. D. (1996). Complexity and Creativity in Organizations. Berrett-Koehler.
0 Kommentare