Vom Competency-Based Interviewing (CBI) zum Skills-Based Interviewing (SBI): Die Zukunft der Talentauswahl in skill-getriebenen Organisationen

 

Der Paradigmenwechsel – Von der Kompetenz- zur Skill-getriebenen Organisation

Die Arbeitswelt verändert sich in einem rasanten Tempo. Digitale Transformation, Künstliche Intelligenz, Globalisierung und dynamische Märkte stellen Unternehmen vor beispiellosen Herausforderungen. In dieser Ära der Unsicherheit und des Wandels wird die Fähigkeit, sich schnell anzupassen, Innovationen voranzutreiben und flexibel auf neue Anforderungen zu reagieren, zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Dieser Paradigmenwechsel erfordert auch eine Neuausrichtung im Bereich des Talentmanagements – weg von traditionellen, kompetenzzentrierten Ansätzen hin zu einer stärker skill-getriebenen Perspektive.

In der Vergangenheit dominierten Competency-driven Organizations (CDO). Diese Organisationen definierten Erfolg primär über Kompetenzen – umfassende Bündel aus Wissen, Fähigkeiten, Einstellungen und Werten, die für bestimmte Rollen oder Hierarchieebenen als essentiell erachtet wurden. Kompetenzmodelle dienten als Leitfaden für Personalplanung, -entwicklung und insbesondere auch für das Competency-Based Interviewing (CBI). CBI zielte darauf ab, durch gezielte Fragen, die sich auf vergangenes und zukünftiges Verhalten in relevanten Situationen bezogen, die Ausprägung dieser übergeordneten Kompetenzen bei Kandidaten zu ermitteln.

Doch die Zukunft gehört zunehmend den Skills-driven Organizations (SDO). SDOs erkennen, dass in einer dynamischen Welt Skills – konkret, messbare Fertigkeiten, Wissen und Erfahrungen – die entscheidende Währung sind. Der Fokus verschiebt sich von breiten Kompetenzprofilen hin zu agilen, flexiblen Skill-Sets, die schnell an sich ändernde Projektanforderungen und Marktbedingungen angepasst werden können. Was sind die entscheidenden Vorteile einer Skill-driven Organization gegenüber einer Competency-driven Organization in der Zukunft?

  • Agilität und Anpassungsfähigkeit: Skills sind granularer und dynamischer als Kompetenzen. SDOs können sich schneller an neue Technologien, Marktveränderungen und Geschäftsmodelle anpassen, indem sie gezielt Skill-Gaps identifizieren und schließen. Kompetenzmodelle sind oft statischer und weniger agil in der Anpassung.
  • Schnellere Reaktionsfähigkeit: In der schnelllebigen BANI-Welt (brüchig, ängstlich, nicht-linear, unbegreiflich) ist Reaktionsgeschwindigkeit entscheidend. SDOs sind in der Lage, schneller auf neue Chancen und Herausforderungen zu reagieren, da sie ihre Skill-Ressourcen flexibler einsetzen und umverteilen können.
  • Fokus auf konkrete Ergebnisse: Skill-getriebene Ansätze konzentrieren sich stärker auf die messbare Anwendung von Fertigkeiten und die unmittelbare Wertschöpfung. Dies ermöglicht eine klarere Erfolgskontrolle und eine stärkere Ergebnisorientierung.
  • Individuelle Entwicklung und lebenslanges Lernen: SDOs fördern eine Kultur des lebenslangen Lernens und der kontinuierlichen Skill-Entwicklung. Der Fokus auf Skills macht individuelle Lernbedarfe transparenter und ermöglicht gezieltere Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen.
  • Effizientere Talentauswahl und -mobilität: Skills-basierte Ansätze in der Rekrutierung und im Talentmanagement führen zu einer präziseren und effizienteren Identifizierung und Allokation von Talenten. Interne Talentmärkte und Skill-Datenbanken ermöglichen eine optimale Nutzung vorhandener Skill-Ressourcen.

 

Warum eine Skill-driven Organization ein Skills-based Interviewing benötigt?

Der Übergang zur Skill-driven Organization erfordert auch eine Transformation der Talentauswahl. Wenn Skills zum zentralen Erfolgsfaktor werden, muss der Recruiting-Prozess diese Verschiebung widerspiegeln. Hier kommt dem Skills-based Interviewing (SBI) eine Schlüsselrolle zu.

Während das Competency-Based Interviewing in CDOs darauf abzielte, die Ausprägung übergeordneter Kompetenzen zu messen, konzentriert sich das Skills-based Interviewing in SDOs direkt auf die Evaluierung konkreter, job-relevanter Skills. Warum ist SBI für Skill-driven Organizations so essentiell?

  • Direkte Skill-Validierung: SBI ermöglicht die direkte Validierung der für eine Rolle erforderlichen Skills. Anstatt indirekt auf Kompetenzen zu schließen, werden Kandidaten in SBI-Formaten gezielt auf ihre Fähigkeit geprüft, spezifische Skills anzuwenden und unter Beweis zu stellen.
  • Fokus auf die Job-Performance: SBI konzentriert sich auf die Skills, die für eine erfolgreiche Job-Performance unmittelbar relevant sind. Der Fokus liegt auf dem, was ein Kandidat tatsächlich kann und wie er diese Skills in der Praxis einsetzt.
  • Objektivität und Vergleichbarkeit: SBI-Formate, die auf validen und reliablen Methoden basieren (z. B. strukturierte Interviews, Wissens- und Skill-Tests, Arbeitsproben), erhöhen die Objektivität und Vergleichbarkeit im Auswahlprozess. Dies minimiert Bias und verbessert die Qualität der Einstellungsentscheidungen.
  • Effizienz und Time-to-Hire: Durch den direkten Fokus auf relevante Skills kann SBI den Rekrutierungsprozess effizienter gestalten und die Time-to-Hire verkürzen. Der Fokus liegt auf den „Must-have“-Skills, wodurch der Auswahlprozess zielgerichteter wird.
  • Employer Branding: Ein transparenter und skill-basierter Auswahlprozess stärkt das Employer Branding und signalisiert Kandidaten, dass die Organisation Wert auf konkrete Fähigkeiten und individuelle Skill-Sets legt.

 

Skills-based Interviewing: Merkmale und die wirkungsvolle Kombination von Fragetypen

Was kennzeichnet nun ein effektives Skills-based Interviewing, und wie können verschiedene Fragetypen dabei wirkungsvoll kombiniert werden? SBI zeichnet sich durch folgende Merkmale aus:

  • Skill-Fokus: Der Interviewprozess ist konsequent auf die Evaluierung spezifischer, vorab definierter Skills ausgerichtet. Diese Skills werden idealerweise aus einer Skill-Taxonomie abgeleitet und sind eng mit den Jobanforderungen verknüpft.
  • Verhaltensbasiert und beobachtbar: SBI konzentriert sich auf beobachtbares Verhalten und messbare Indikatoren für die Skill-Ausprägung. Fragen und Aufgaben zielen darauf ab, konkrete Verhaltensweisen und Skill-Demonstrationen zu provozieren.
  • Praxisorientiert: SBI integriert praxisnahe Elemente wie Fallstudien, Arbeitsproben, Simulationen oder Wissens- und Skill-Tests, um die Skill-Anwendung in realen Arbeitssituationen zu simulieren.
  • Strukturiert und standardisiert: Ein hoher Grad an Strukturierung und Standardisierung gewährleistet Objektivität, Vergleichbarkeit und Reliabilität im Interviewprozess. Dies umfasst standardisierte Fragen, Bewertungsmaßstäbe und Interviewleitfäden.
  • Datengetrieben: SBI nutzt idealerweise Daten und Analysen, um die Validität und Prädiktivität des Interviewprozesses kontinuierlich zu verbessern. Dies kann die Analyse von Interviewergebnissen, Job-Performance-Daten und Feedback von Hiring Managern umfassen. 

Um ein umfassendes Bild der Skill-Ausprägung eines Kandidaten zu erhalten, ist die kombinierte Anwendung verschiedener Fragetypen im SBI besonders wirkungsvoll:

  • Biographische Fragen: Biographische Fragen nutzen das Prinzip „Vergangenes Verhalten ist der beste Prädiktor für zukünftiges Verhalten“. Sie zielen darauf ab, konkrete Beispiele aus der Vergangenheit des Kandidaten zu erfragen, in denen er die relevante Skill bereits demonstriert hat. Durch detaillierte Nachfragen zu Situation, Aufgabe, Aktion und Ergebnis (STAR-Methode) können interviewer tiefere Einblicke in die tatsächliche Skill-Anwendung gewinnen. Biographische Fragen eignen sich besonders gut, um die tatsächliche Anwendung eines Skills in realen Kontexten zu evaluieren und die Motivation und das Engagement des Kandidaten in Bezug auf den Skill zu erfassen.
  • Situative Fragen: Situative Fragen präsentieren hypothetische Arbeitssituationen und fordern den Kandidaten auf, zu beschreiben, wie er in dieser Situation handeln würde. Sie ermöglichen es, die Skill-Anwendung in zukünftigen, potenziellen Situationen zu simulieren und die situative Urteilsfähigkeit des Kandidaten zu prüfen. Situative Fragen sind besonders wertvoll, um zu beurteilen, wie ein Kandidat mit neuen, unbekannten Herausforderungen umgeht und wie er seine Skills flexibel und situationsgerecht anpasst.
  • Wissensfragen: Wissensfragen zielen darauf ab, das fundamentale Wissen und das theoretische Verständnis des Kandidaten in Bezug auf die relevante Skill zu überprüfen. Sie können Faktenwissen, prozedurales Wissen oder konzeptuelles Wissen abfragen und dienen dazu, die Basis für die Skill-Anwendung zu validieren. Wissensfragen sind besonders relevant, wenn ein solides Fachwissen eine notwendige Voraussetzung für die erfolgreiche Skill-Anwendung ist (z. B. in technischen Berufen). 

Die synergetische Kombination dieser drei Fragetypen ermöglicht es, ein umfassendes und valides Bild der Skill-Ausprägung eines Kandidaten zu gewinnen. Biographische Fragen liefern Evidenz für vergangene Skill-Demonstrationen, situative Fragen simulieren zukünftige Skill-Anwendung, und Wissensfragen validieren das fundamentale Skill-Verständnis. Durch die geschickte Integration dieser Fragetypen können Interviewer ein tiefgreifendes und differenziertes Skill-Profil des Kandidaten erstellen und fundierte Einstellungsentscheidungen treffen. 

Skill-Assessment in der Praxis: Beispiel „Problemlösung in komplexen IT-Systemen“ für einen IT-Systemadministrator

Um die praktische Anwendung von SBI und die Kombination der Fragetypen zu verdeutlichen, betrachten wir ein konkretes Beispiel: Die Evaluierung des Skills „Problemlösung in komplexen IT-Systemen“ für die Funktion eines IT-Systemadministrators. Dieser Skill ist für IT-Systemadministratoren essentiell, da sie täglich mit komplexen Systemausfällen, Performance-Problemen und Sicherheitsvorfällen konfrontiert werden.

1. Biographische Fragen (STAR-Methode):

  • Frage: „Beschreiben Sie eine Situation, in der Sie mit einem besonders komplexen Problem in einem IT-System konfrontiert waren. Was war die genaue Herausforderung? Welche Schritte haben Sie unternommen, um das Problem zu analysieren und zu lösen? Welches Ergebnis haben Sie erzielt? Was haben Sie aus dieser Erfahrung gelernt?“
  • Niedrige Skill-Ausprägung (Antwortbeispiel): Der Kandidat beschreibt ein eher triviales Problem, das schnell durch Standard-Troubleshooting-Schritte gelöst werden konnte. Die Analyse des Problems bleibt oberflächlich, die beschriebenen Schritte sind wenig strukturiert, und der Kandidat zeigt wenig Reflexion über den Lernprozess.
  • Mittlere Skill-Ausprägung (Antwortbeispiel): Der Kandidat beschreibt ein komplexeres Problem, das eine detailliertere Analyse und den Einsatz verschiedener Troubleshooting-Methoden erforderte. Die Vorgehensweise ist strukturierter, der Kandidat demonstriert ein grundlegendes Verständnis von Systemzusammenhängen, aber die Lösung ist möglicherweise nicht optimal oder erfordert externe Unterstützung.
  • Hohe Skill-Ausprägung (Antwortbeispiel): Der Kandidat beschreibt ein hochkomplexes, systemübergreifendes Problem, das tiefgreifende analytische Fähigkeiten, kreative Lösungsansätze und die Zusammenarbeit mit verschiedenen Teams erforderte. Die Vorgehensweise ist hochstrukturiert, der Kandidat demonstriert ein tiefes Verständnis von Systemarchitekturen und Fehlerursachen, die Lösung ist innovativ und nachhaltig, und der Kandidat reflektiert detailliert über den Lernprozess und die gewonnenen Erkenntnisse.

 2. Situative Fragen:

  • Frage: „Stellen Sie sich vor, ein kritischer Server in unserer Cloud-Infrastruktur fällt plötzlich aus. Dies führt zu erheblichen Beeinträchtigungen für unsere Kunden. Beschreiben Sie bitte detailliert, welche Schritte Sie unternehmen würden, um das Problem zu diagnostizieren, die Ausfallzeit zu minimieren und den Server wiederherzustellen.“
  • Niedrige Skill-Ausprägung (Antwortbeispiel): Der Kandidat beschreibt unsystematische, reaktive Schritte, die wenig Priorisierung und Struktur erkennen lassen. Der Fokus liegt primär auf der Symptombehandlung, weniger auf der Ursachenanalyse. Es fehlt ein klarer Plan zur Minimierung der Ausfallzeit und zur Wiederherstellung des Systems.
  • Mittlere Skill-Ausprägung (Antwortbeispiel): Der Kandidat beschreibt eine strukturiertere Vorgehensweise mit Priorisierung der kritischen Systeme und einer systematischen Fehlerdiagnose. Die Antwort beinhaltet grundlegende Schritte zur Wiederherstellung des Servers, aber es fehlen möglicherweise detailliertere Aspekte wie Eskalationsprozesse, Kommunikationsstrategien oder präventive Maßnahmen.
  • Hohe Skill-Ausprägung (Antwortbeispiel): Der Kandidat beschreibt einen umfassenden, proaktiven Plan, der verschiedene Eskalationsstufen, detaillierte Diagnose- und Wiederherstellungsschritte, Kommunikationsstrategien (intern und extern) sowie präventive Maßnahmen zur Vermeidung zukünftiger Ausfälle umfasst. Die Antwort demonstriert ein tiefes Verständnis für die kritische Natur des Problems und die Notwendigkeit einer schnellen, effektiven und nachhaltigen Lösung.

3. Wissensfragen:

  • Frage: „Welche gängigen Methoden und Tools kennen Sie zur Fehlerdiagnose in komplexen IT-Systemen? Können Sie Beispiele für den Einsatz von Monitoring-Systemen, Log-Analyse-Tools oder Netzwerk-Analysatoren nennen?“
  • Niedrige Skill-Ausprägung (Antwortbeispiel): Der Kandidat nennt nur sehr wenige oder generelle Methoden (z. B. „Neustart des Systems“), ohne spezifische Tools oder detailliertes Fachwissen zu demonstrieren.
  • Mittlere Skill-Ausprägung (Antwortbeispiel): Der Kandidat nennt einige gängige Methoden und Tools und kann deren grundlegende Funktionsweise erklären. Die Antwort zeigt ein solides Basiswissen, aber es fehlen möglicherweise detailliertere Kenntnisse oder fortgeschrittene Techniken.
  • Hohe Skill-Ausprägung (Antwortbeispiel): Der Kandidat demonstriert ein breites und tiefes Fachwissen über verschiedene Methoden und Tools zur Fehlerdiagnose in komplexen IT-Systemen. Er kann detaillierte Beispiele für den Einsatz spezifischer Tools nennen, deren Vor- und Nachteile erläutern und fortgeschrittene Techniken beschreiben.

 

Durch die Kombination dieser biographischen, situativen und Wissensfragen und die Analyse der Antworten anhand der beschriebenen Ausprägungsniveaus können Interviewer ein valides und differenziertes Bild der Problemlösungskompetenz des Kandidaten gewinnen und fundierte Einstellungsentscheidungen treffen.

 

Fazit: Skills-based Interviewing als Schlüssel zur Skill-driven Organization

Der Übergang von Competency-driven zu Skill-driven Organizations markiert einen fundamentalen Wandel in der Art und Weise, wie Unternehmen Talente gewinnen, entwickeln und einsetzen. Das Skills-based Interviewing ist in diesem neuen Paradigma ein unverzichtbares Instrument, um die für den zukünftigen Erfolg entscheidenden Skills präzise und effizient zu evaluieren. Durch die konsequente Ausrichtung des Interviewprozesses auf konkrete Skills, die Kombination verschiedener Fragetypen und die Integration praxisorientierter Elemente können Unternehmen sicherstellen, dass sie die richtigen Talente gewinnen, um in der dynamischen und komplexen Arbeitswelt von morgen erfolgreich zu sein. Die Investition in SBI ist somit eine Investition in die Agilität, Anpassungsfähigkeit und Zukunftsfähigkeit der gesamten Organisation.

 

Quellen:

  1. Dondi, M., Klier, J., Panier, F., & Schubert, J. (2021). Defining the skills citizens will need in the future world of work. McKinsey & Company. https://www.weforum.org/stories/2021/06/defining-the-skills-citizens-will-need-in-the-future-world-of-work/
  2. Indeed. (2025). What is a skills-based interview? (With preparation tips). (2025). https://www.indeed.com/career-advice/interviewing/skills-based-interview
  3. McClelland, D. C. (1973). Testing for competence rather than for intelligence. American Psychologist, 28(1), 1–14. https://doi.org/10.1037/h0034092
  4. Mercer. (2024). Using skills frameworks. https://www.mercer.com/en-us/campaigns/talent-rewards/skills-framework/
  5. Spencer, L. M., & Spencer, S. M. (1993). Competence at work: Models for superior performance. John Wiley & Sons.
  6. World Economic Forum. (2025). The Future of Jobs Report 2025. Weltwirtschaftsforum, Genf. https://www.weforum.org/publications/the-future-of-jobs-report-2025/

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